Dich nervt etwas, doch du schweigst. Du hältst einfach mal die Klappe. Für eine klitzekleine Ewigkeit nur. Denn jedes unüberlegte Wort würde den Konflikt nur verschlimmern. Dein Motto: Entschärfen, was explodieren könnte.
Doch warte nicht zu lang. Nur eine Sekunde oder zwei. Denn Schweigen heißt für viele v.a. eins: Zustimmung. Finde deshalb einen guten Zeitpunkt zwischen "zu früh gesprochen" und "zu lang gewartet". Indem du situationsgerecht KANALisierst ...
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Stell dir vor …
Dein Chef und du im Mitarbeitergespräch. Du bist gut vorbereitet, motiviert, voller Zuversicht. Und dann: Alles wie weggeblasen. Du schlägst eine neue Cloud-Lösung vor, doch er verdreht die Augen. Deine Atmung stockt, dein Puls steigt, deine Schultern verspannen sich. Mit sachlicher Kritik hättest du ja kein Problem. Aber so: Nee, geht gar nicht! Jetzt schnell etwas parat haben. Einen coolen Spruch, eine souveräne Geste. Irgendetwas. Hauptsache raus aus der Erniedrigung und der Beschämung. Doch dir fällt nichts ein. Dein Hirn ist wie leer gefegt. Blackbox. Und niemand hilft dir, du selbst dir am wenigsten – was das Ganze nur noch schlimmer macht. Nicht einmal auf dich selbst kannst du dich verlassen! Was also tun? Wohin mit dem Ärger, der Wut und der Enttäuschung?
Anders formulieren? Das Gegenteil behaupten? Eine hitzige Grundsatzdiskussion beginnen? Nein. Du brauchst etwas, das ganz einfach funktioniert, nichts verschlimmert und vor allem in Stresssituationen verfügbar ist. Etwas, das dich wieder gelassener macht. Etwas, das dir hilft emotional zu deeskalieren.
Und genau dafür gibt es eine Strategie, nämlich: KANAL.
Theoretisch heißt das …
KANAL ist ein Akronym. Die Merkhilfe ergibt sich aus den Anfangsbuchstaben von fünf Verhaltensstrategien:
Diese fünf Strategien sind simpel, aber hocheffektiv: Sie helfen dir, dich sofort zu beruhigen, Zeit zu gewinnen und wieder handlungsfähig zu werden. Denn was brauchst du in einer schwierigen zwischenmenschlichen Begegnung mehr, als einen klaren Kopf und einen ruhigen Verstand? Warum aber gerade dieser Name? Warum ein Akronym? Ganz einfach: Das Bild eines solide gebauten Kanals vermittelt dir die Sicherheit, auf Kurs zu bleiben, voranzukommen und dabei nicht unterzugehen. Als Deeskalationsstrategie hält KANAL die Verbindung zum Gegenüber und ist außerdem schnell verfügbar – auch und gerade in schwierigen, überwältigenden Situationen.
Wichtig: Das Ziel von KANAL ist es nicht, den Konflikt sofort zu beseitigen oder zu verstehen, sondern nur zu deeskalieren. Du verhinderst damit also ein unkontrolliertes Anheizen des Konflikts. Und das sollte zunächst einmal dein oberstes Ziel sein. Klingt nach wenig, aber wer hier in Stufe 1 – also beim Deeskalieren – mehr will, kann sich leicht übernehmen und scheitern.
Und so einfach, wie es sich anhört, ist es gar nicht. Denn erst einmal musst du das Gefühl des Ausgeliefertseins ertragen beziehungsweise erträglich machen, es akzeptieren statt zu flüchten oder anzugreifen. Und das funktioniert am besten über den Körper. Vielleicht wundert dich das, weil du wie viele andere gelernt hast, auf Probleme unmittelbar sprachlich zu reagieren. Du machst dir Gedanken, du sprichst sie aus. Wenn dich jedoch eine Ärgersituation überrascht, wirst Du wahrscheinlich nicht in der Lange sein, ruhig und gelassen zu überlegen und entsprechend souverän zu handeln (das geht erst in Phase 2, wie wir sehen werden).
Die wissenschaftlichen Grundlagen, warum wir in solchen Situationen besser auf unseren Körper als Mittel der Selbstkontrolle setzten sollten, sind heute gut erforscht. Eine der Pioniere auf diesem Gebiet ist die Psychologin Maja Storch, die mit ihrem Buch Embodiment die Steuerung der mentalen Prozesse über Körperhaltungen und Atemtechnik, einem größeren Leserkreis zugänglich gemacht hat. Sie beschreibt, dass unser Unbewusstes immer im Körperlichen seine Entsprechung findet. Sind wir nervös, dann steigt die Atemfrequenz, wir bekommen Schweiß auf der Stirn und der Herzschlag steigt.
Emotionen als Teil des Unbewussten lassen sich daher in umgekehrter Weise auch durch bestimmte Körperhaltungen und Atemtechniken regulieren, sodass sie dann nicht länger unser Denken blockieren. Deshalb erst einmal bewusst atmen, sich ein bisschen bewegen, die Muskulatur lockern und dabei in Kontakt bleiben, nicken, lächeln. Im Prinzip ganz einfach, jedoch nicht immer leicht umzusetzen.
Praktisch bedeutet das …
Wann immer du merkst, dass dich etwas überwältigt oder dass du ausflippen könntest, steig ein in den KANAL. Mal wird dir das »K« wie »Klappe halten« genügen, und du kehrst zurück zu deiner entspannten Version. Mal wirst du neben dem »K« auch das »A« wie »Atmen« anwenden, um dich zu stabilisieren. Und mal wirst du alle fünf Schritte von KANAL in irgendeiner Abfolge oder auch gleichzeitig ausführen.
Anfangs noch geplant, wird es irgendwann in Fleisch und Blut übergehen. Mach dir zunutze, dass dich alle Verhaltenselemente erst einmal besänftigen und dir helfen, deine Emotionen zu regulieren, bevor in den späteren Phasen des Anti-Ärger-Modells anspruchsvolle Aufgaben auf dich zukommen, die stärker deine kognitiven Fähigkeiten fordern. Was sich hinter den fünf Buchstaben genau verbirgt, verrät dir die folgende Tabelle:
Was kann schiefgehen? Was könnte schwierig sein bei der Umsetzung? Und was tust du dann? Es leuchtet dir zwar ein, dass ein Nicht-Reagieren durchaus günstig sein kann. Doch was spricht dagegen? Schauen wir uns einige Alltagsmomente genauer an:
- Falle 1: Du verweigerst KANAL bewusst, weil du dich wehren willst
- Du verpasst KANAL, weil du reflexhaft reagierst
- Du versemmelst KANAL, weil du zum Beispiel deine Atmung zu offensichtlich anpasst, was dein Gegenüber irritiert
- Du übertreibst KANAL, weil du nur noch atmest und alles geschehen lässt
Verständlich. Kennt jeder. Andererseits weißt du genau: Der Schuss ging schon oft genug nach hinten los. Die Schlacht wurde zwar gewonnen, doch der Krieg verloren. Etwas weniger martialisch ausgedrückt: Zwar hast du im Rededuell gesiegt, aber die Beziehung ging in die Brüche. An diesem Punkt erkennst du vielleicht, dass deine sofortige Gegenattacke einem Rachegefühl entspringt. Und dass Rache selten zum Guten führt. Was also spricht dagegen, beim nächsten Mal den KANAL auszuprobieren? Nur für einen klitzekleinen Augenblick?
Ja, das kann passieren und das wird passieren. Weil du es jahrelang so gemacht hat. Und weil du ja auch kein Opfer sein willst. Dennoch: Du kannst jederzeit diesen Automatismus erkennen und ihn jeden Tag ein Stück schwächen. Jedes Mal, wenn du zu schnell reagierst, nimmst du dir vor, beim nächsten Mal etwas länger zu warten oder gleich in den KANAL einzusteigen. Vielleicht gelingt es dir sogar, schwierige Situationen als Übungsfeld zu betrachten.
Du fühlst dich erwischt. Ja, das kann peinlich sein – je nach Bewertung (siehe Kapitel 2.3). Muss aber nicht. So oder so: Du kannst lernen, deine Atmung zu beeinflussen, ohne dass es jemand merkt. Und dazu musst du noch nicht einmal einen Yoga-Kurs besuchen.
Du KANALisierst gut und richtig, aber leider zu ausführlich. Wenn du nicht nur zwei bis drei Sekunden die Klappe hältst, sondern länger, denkt dein Gegenüber möglicherweise: »Wow, dem habe ich es gezeigt. Der lässt ja einiges mit sich machen!« Und er legt nach. Daher: KANALisiere nur im allerersten Augenblick. Zwei, maximal drei Sekunden. Schweigst du länger, hält er deine Stille vielleicht für Zustimmung. Und das wäre eine Einladung für weitere Angriffe.
Du nimmst mit ...
Du weißt nun, wie du dich mithilfe der Deeskalationsstrategie KANAL beruhigen kannst. Die Strategie bietet sich vor allem dann an, wenn du ein Ärger-Angebot bewusst oder unbewusst angenommen hast und unter deiner Bewertung leidest. Bevor du also Dinge tust oder von dir gibst, die (dir) mehr schaden als nützen, lieber erst mal KANALisieren.
Wie wir gesehen haben: KANAL ist extrem einfach. Jeder Mensch kann sofort in ihn eintauchen, wenn er will. Dazu braucht es kein Seminar und kein Training. Und es ist auch keine Nanotechnologie. Doch wie erkennst du den richtigen Moment, um diese Chance zur Stressminderung zu ergreifen?
Im nächsten Blogbeitrag wird es um Merkmale gehen, an denen du aufkommende Konflikte erkennen kannst. Je aufmerksamer du gegenüber diesen Signalen bist, desto früher kannst du Konflikte wahrnehmen, ihnen vorbeugen beziehungsweise rechtzeitig aussteigen. Aussteigen im Sinne von KANAL-isieren.
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